Gesprächsbereitschaft öffnet Türen

Im Dialog über die „Aufsuchende Hilfe“ –
Ein Hilfsangebot von Neue Wege in Kooperation mit der Kombrecht-Engel-Schule

Daniel Biundo ist seit Januar 2013 Leiter des kommunalen Jobcenters Viernheim. Seine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermitteln und betreuen Menschen im Arbeitslosengeld II-Bezug aus der Stadt Viernheim. Von rund 32.800 Einwohnern sind 698 Personen arbeitslos gemeldet und beziehen Leistungen nach dem SGB II – Hartz IV. Für Langzeitarbeitslose, die auf Grund multipler Problemlagen überlastet sind und ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen können, steht seit 2012 ein Unterstützungsangebot in Kooperation mit der Kombrecht-Engel zur Verfügung, die „Aufsuchende Hilfe“. Für ein Gespräch über die Entwicklung des Projekts trafen sich der Leiter des Jobcenters Viernheim und der Leiter der Kombrecht-Engel-Schule. Neue Wege unterhielt sich mit den Beteiligten.

Neue Wege:

Was versteht man unter der Maßnahme Aufsuchende Hilfe? Wann kommen Sie
zum Einsatz?

Schierk:

Die Aufsuchende Hilfe ist ein Projekt, bei dem es darum geht, Menschen, die nicht mehr im Kontakt mit „ihrem“ Mitarbeiter im Jobcenter stehen, wieder in den Dialog mit Jobcenter zu bringen. Unsere Aufgabe ist es, eine stabile und beständige Brücke zurück zum Fallmanager zu bauen.

Biundo:

Die Aufsuchende Hilfe setzt da an, wo unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr weiterkommen. Personen mit schwierigen Biografien, einschneidenden Erlebnissen oder gesundheitlichen Problemen verlieren oft ihren Lebensplan und kapseln sich ab. Dann steht nur die Geldleistung des Jobcenters im Vordergrund, die Möglichkeiten der Förderung in Form von angebotenen Maßnahmen wird auf Grund der multiplen Problemlagen nicht
genutzt.

Neue Wege:

Wie wird der Kontakt zum Betroffenen hergestellt?

Schierk:

Nach Mitteilung durch den Fallmanager versuchen wir telefonisch Kontakt mit dem Betroffe-nen aufzunehmen. Sollte dies nicht gelingen, versenden wir ein Anschreiben, in dem wir uns und unser Angebot vorstellen und eine Kontaktaufnahme anbieten. Wenn auch darauf keine Reaktion erfolgt, suchen wir die Person zu Hause auf.

Biundo:

Im Schnitt dauert es ein bis zwei Wochen, bis eine Reaktion erfolgt. Daher ist es wichtig, den Menschen Zeit zu geben, um sich auf das Angebot einzulassen. Druck hat meist erst Recht einen Rückzug zur Folge. Wenn ein Kontakt entsteht, ist er wie eine zarte Pflanze, die gehegt werden muss.

Neue Wege:

Warum ist die Aufsuchende Hilfe ein benötigtes Instrument?

Biundo:

Für Jugendliche unter 25 Jahren gibt es schon lange verschiedene Angebote mit aufsuchen-den Komponenten, nicht jedoch für Ältere. Diese Personen können mit der Aufsuchenden Hilfe seit Anfang 2012 gezielt unterstützt werden. Unsere Fallmanager haben leider nicht die Möglichkeit sich so intensiv um jeden Leistungsbezieher zu kümmern wie es die Mitarbeiter der Aufsuchenden Hilfe tun. Wir haben häufig nur den Menschen auf dem Papier vor Augen, der persönliche Kontakt findet nicht regelmäßig statt. Standardlösungen greifen hier nicht.

Schierk:

Es geht darum dem Betroffenen eine Perspektive aufzuzeigen und ihn auf dem Weg aus der Isolation zu begleiten. Viele der Betroffenen haben sich mit ihrer Situation arrangiert und sehen ihre Probleme nicht. Mit unserer Hilfe können sie angegangen werden.

Neue Wege:

Welche Hilfestellung können Sie genau bieten?

Schierk:

Wir begleiten gegebenenfalls zu Behörden oder Ärzten, je nach Wunsch. Es ist auch schon wichtig, dem Teilnehmer zuzuhören – viele sind alleinstehend und haben keine oder kaum soziale Kontakte. Wenn dann jemand kommt, sich Zeit für Gespräche nimmt und zuhört, ist dies eine Wertschätzung, die gut tut. Sensible Themen benötigen Vertrauen zum Ge-sprächspartner. Auf Wunsch ist es deshalb auch möglich, dass bestimmte Themen nicht mit unserer Mitarbeiterin Frau Ziden, sondern mit einem unserer männlichen Mitarbeiter besprochen werden.

Neue Wege:

Was sind die häufigsten Gründe, warum der Kontakt zum Fallmanager abbricht?

Schierk:

Es gibt Leistungsbezieher, die ein Grundmisstrauen mitbringen. Der Kontakt zum Fallmanager steht auf wackligem Eis und kann leicht brechen. Dazu kommen individuelle Probleme – eine Perspektive fehlt. Gerade auch viele junge Menschen sind von Erlebnissen in ihrer Kindheit geprägt und haben eine schwierige Biografie.

Biundo:

Viele Menschen schaffen es auch ihre Probleme lange Zeit zu verstecken, doch irgendwann kann das Gerüst nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die Aufsuchende Hilfe kann dann Impulse geben das Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen und etwas zu verändern. Oft ist es ein ganzes Geflecht an Problemen, das zusammen kommt – Scham, Resignation, Verärgerung über das System, Krankheit, psychische Probleme sind nur einige Beispiel. Sobald an einem Problem gearbeitet wird bewegt sich alles mit, ein Stein kommt ins Rollen. In dieser Situation benötigen die Teilnehmer einen qualifizierten Partner, der ihnen zur Seite steht und eine Brücke zu Hilfsangeboten baut.

Neue Wege

Wie ist die Resonanz der Betroffenen? Welche Erfolge können Sie verzeichnen?

Schierk:

Die Resonanz ist überwiegend positiv. Die Kunden haben nicht das Gefühl in einen rechtli-chen Rahmen eingebunden zu sein, dass macht die Zusammenarbeit leichter und öffnet viele Türen, die den Fallmagern zeitweise verschlossen sind.

Biundo:

Wir haben gemerkt, dass sich die Personengruppe, die wir betreuen verändert – der größte Teil der Leistungsbezieher wurde in Arbeit vermittelt. Wir kümmern uns momentan haupt-sächlich um Menschen, die schon lange im Bezug stehen. Unser Maßnahmeangebot wird deshalb stetig an die Bedürfnisse der Arbeitslosengeldbezieher angepasst. infolgedessen ist die Aufsuchende Hilfe ein sehr gutes Angebot, dass es ermöglicht sich intensiv um Einzelfälle zu kümmern. Auch Kritik nehmen wir gerne an – nur so können wir etwas verbessern. Wir stellen uns dann die Frage, welches Angebot wir machen können, damit es wieder „passt“.

Wieder im Dialog

Ein Gespräch über die „Aufsuchende Hilfe“

Christian Bayer ist seit September 2006 Leiter des kommunalen Jobcenters Ried in Bürstadt. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermitteln und betreuen Menschen im Arbeitslosengeld II-Bezug aus den Gemeinden Biblis, Groß-Rohrheim, Lampertheim und Bürstadt. Von rund 59.700 Einwohnern sind 969 Personen arbeitslos gemeldet und beziehen Leistungen nach dem SGB II – Hartz IV. Für Langzeitarbeitslose, die auf Grund multipler Problemlagen überlastet sind und ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen können, steht seit 2012 ein Unterstützungsangebot in Kooperation mit dem KuBuS e.V. zur Verfügung, die „Aufsuchende Hilfe“. Für ein Gespräch über die Entwicklung des Projekts trafen sich der Leiter des Jobcenters Ried und Alexander Jakusch, der seit Anfang 2012 betroffene Menschen des Jobcenters im Rahmen der Aufsuchenden Hilfe betreut. Neue Wege unterhielt sich mit den Beteiligten.

Neue Wege:

Was versteht man unter der Maßnahme Aufsuchende Hilfe? Wann kommen Sie zum
Einsatz?

Jakusch:

Die Aufsuchende Hilfe ist ein Angebot für Arbeitslosengeld II-Bezieher, bei denen sich der Kontakt zum zuständigen Mitarbeiter im Jobcenter schwierig gestaltet. Oft wird der Kontakt zum Jobcenter vollständig eingestellt, Briefe nicht mehr geöffnet, auf keinen Versuch der Kontaktaufnahme mehr reagiert.

Bayer:

Unser Tagesgeschäft funktioniert ohne den gemeinsamen Dialog mit dem Leistungsbezieher nicht mehr. Wir warten beispielsweise auf fehlende Unterlagen. Wenn diese nicht eingereicht werden, können Anträge nicht bearbeitet werden. So kommt eins zum anderen – Leistungen können nicht ausgezahlt werden.

Neue Wege:

Wie wird der Kontakt zum Betroffenen hergestellt?

Jakusch:

Die Kontaktaufnahme erfolgt per Brief in dem wir uns und unser Angebot vorstellen. Wir haben gute Erfahrungen mit dieser Art der Annäherung gemacht – über die Hälfte der Kontaktierten reagiert auf unser Angebot. Der nächste Schritt bei Nichtreagieren wäre ein telefonisches Kontaktieren oder ein Hausbesuch. Ziel der Bemühungen ist es, einen ersten persönlichen Gesprächstermin am Ort der Wahl des Teilnehmers auszumachen. Kommt es zu einem Treffen, werden Auftrag sowie die Möglichkeiten und Grenzen des Kontakts erklärt. Wir legen von Anfang an großen Wert auf Transparenz und Vertrauenswürdigkeit.

Neue Wege:

Warum ist die Aufsuchende Hilfe ein benötigtes Instrument?

Jakusch:

Die Aufsuchende Hilfe greift bei Personen, bei denen alle anderen Versuche der
Kontaktaufnahme durch das Jobcenter nicht gelungen sind. Wir als neutrale Stelle haben einen ganz anderen Zugang zu den Betroffenen. Das Angebot ist freiwillig, sie können sich ohne Druck entscheiden, ob sie unser Angebot annehmen möchten oder nicht. Wir sind an die Schweigepflicht gebunden – neutrale Dritte. Mit unserer Arbeit können wir mehr Klarheit in einen Fall bringen.

Bayer:

Primäres Ziel ist es, überhaupt wieder einen Kontakt zu uns herzustellen oder den betroffenen Menschen dahingehend zu unterstützen, dass sich eine bestehende, aber problematische Zusammenarbeit wieder verbessert und ohne Unterstützung von Herrn Jakusch wieder funktioniert.

Neue Wege:

Welche Hilfestellung können Sie genau bieten?

Jakusch:

Wir benennen gemeinsam mit dem Teilnehmer die Hemmnisse, Beschwerden und Konflikte, die die aktuelle Lebenssituation beeinflussen und überlegen, wie die Probleme Schritt für Schritt gelöst werden können. Wir holen auch Dritte mit ins Boot und verweisen die Betroffenen beispielsweise an Sucht- oder Schuldnerberatungen mit denen wir ebenfalls in engem Kontakt stehen. Auch bei Behördengängen stehen wir gerne zur Seite. Der Fallmanager wird, sofern vom Teilnehmer gewünscht, über die eingeleiteten Schritte auf dem Laufenden gehalten. Es soll so schnell wie möglich erreicht werden, den Teilnehmer wieder zum Fallmanager zurückzuführen.

Bayer:

Die Teilnehmer sollen motiviert werden in regelmäßigem persönlichen Kontakt mit Herrn Jakusch zu bleiben, damit eine stabile Arbeitsbeziehung entsteht.

Neue Wege:

Was sind die häufigsten Gründe, warum der Kontakt zum Fallmanager abbricht?

Jakusch:

Oft haben sich beide Seiten aneinander aufgerieben, die Kommunikation funktioniert einfach nicht mehr. Die Mehrzahl der Betroffenen hat eine Vielzahl an Problemen, die ihren Alltag beeinflussen – Überschuldung, körperliche und psychische Beeinträchtigungen, Ärger mit dem Vermieter, familiäre Schwierigkeiten. Oftmals wurde auch einfach die Post über einen längeren Zeitraum nicht mehr geöffnet.

Neue Wege

Wie ist die Resonanz der Betroffenen? Welche Erfolge können Sie verzeichnen?

Jakusch:

Die Resonanz ist in der Mehrheit sehr positiv. Auch jene, die erst misstrauisch sind, nehmen das Angebot meist doch an. Manchmal ist es nur ein kleiner Einsatz, der große Wirkung hat. Die Probleme übersteigen oft die Kompetenz der betroffenen Personen – häufig wird das aber erst mit unserer Hilfe erkannt. Unser größter Erfolg ist natürlich, wenn der Teilnehmer seinen Weg mit unserer Unterstützung findet und letztendlich auch wieder in regelmäßigem Kontakt mit dem Fallmanager steht.

Bayer:

Man muss bedenken, dass bei diesem Projekt nicht die unmittelbare Vermittlung im Vordergrund steht, sondern in den meisten Fällen überhaupt die Herstellung eines funktionierenden dauerhaften Kontakts. Ist dies gelungen, kommt durch die intensive Betreuung auch das Selbstvertrauen der Teilnehmer in die eigenen Fähigkeiten zurück. So kann dann auch die Rückkehr in die Gemeinschaft gelingen und irgendwann wird der Sprung in die Erwerbstätigkeit geschafft.

Wieder gemeinsam an einem Strang ziehen

Ein Gespräch über die „Aufsuchende Hilfe“
Ingrid Weigold ist seit September 2009 Leiterin des kommunalen Jobcenters Bergstraße in Heppenheim. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermitteln und betreuen Menschen im Arbeitslosengeld II-Bezug aus den Gemeinden Bensheim, Einhausen, Heppenheim, Lautertal, Lorsch und Zwingenberg. Von rund 98.300 Einwohnern sind 1.290 Personen arbeitslos gemeldet und beziehen Leistungen nach dem SGB II – Hartz IV. Für Langzeitarbeitslose, die auf Grund multipler Problemlagen überlastet sind und ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen können, steht seit 2012 ein Unterstützungsangebot in Kooperation mit der Kombrecht-Engel-Schule zur Verfügung, die „Aufsuchende Hilfe“. Für ein Gespräch über die Entwicklung des Projekts trafen sich die Leiterin des kommunalen Jobcenters Bergstraße und Borislav Romakov, der seit Sommer 2013 betroffene Menschen des Jobcenters im Rahmen der Aufsuchenden Hilfe betreut. Neue Wege unterhielt sich mit den Beteiligten.

Neue Wege:

Was versteht man unter der Maßnahme Aufsuchende Hilfe? Wann kommen Sie
zum Einsatz?

Romakov:

Die Aufsuchende Hilfe unterstützt Personen im Arbeitslosengeld II-Bezug, die mit ihrer per-sönlichen Situation überfordert sind, sich zurückgezogen haben und aus den unterschied-lichsten Gründen den Kontakt zum kommunalen Jobcenter abgebrochen haben.
Ich sehe mich hierbei als Bindeglied zwischen dem Jobcenter und dem Leistungsempfänger und komme dann zum Einsatz, wenn die Kommunikation zwischen beiden nicht oder nicht mehr funktioniert. Als neutraler Dritter versuche ich gemeinsam mit dem Betroffenen die Ur-sache des Problems zu ergründen und ihn wieder zur Kommunikation mit dem zuständigen Mitarbeiter der Behörde zu bewegen.

Neue Wege:

Wie wird der Kontakt zum Betroffenen hergestellt?

Romakov:

Der erste Kontakt erfolgt in schriftlicher Form – wir stellen uns vor und bieten ein persönliches Gespräch an. Wichtig ist auch, uns in gewisser Weise vom Jobcenter abzugrenzen, als neutrale Person kenntlich zu machen, damit die Hilfe auch angenommen wird. Wie der Projektname schon sagt, suchen wir die Menschen in ihrem privaten Umfeld auf. Dies geschieht dann, wenn auf die schriftliche und die darauf folgende telefonische Kontaktaufnahme keine Reaktion erfolgt ist. Sobald wir eine gemeinsame Basis gefunden haben, kann der Kunde einen Treffpunkt für ein persönliches Kennenlernen vorschlagen. Oft ist das ein neutraler Ort, beispielsweise ein Cafe.

Neue Wege:

Warum ist die Aufsuchende Hilfe ein benötigtes Instrument?

Romakov:

Ohne die Aufsuchende Hilfe gäbe es keine Möglichkeit an Menschen, die die Zusammenar-beit mit dem Jobcenter nicht in Anspruch nehmen können oder wollen, in Kontakt zu treten. So können Problemlagen nicht erkannt werden. Das Aufsuchen im persönlichen Umfeld bringt diesen Personen Wertschätzung entgegen und schafft eine Vertrauensbasis, die Kunden fühlen sich sicher. Ängste und Scheu können im gewohnten Umfeld oft rasch abgebaut werden. Bei der Arbeit erhält man ein Gespür für Familiensituationen, was ein wesentlicher Vorteil für die Einschätzung der Problemlagen sein kann.

Weigold:

Unsere Fallmanager haben nicht die Gelegenheit sich so intensiv um die Belange der Leis-tungsbezieher zu kümmern und sie zu Hause aufsuchen. Auch unser Außendienst hat nur die Möglichkeit einer Momentaufnahme. Herr Romakov hingegen kann den Teilnehmer auf seinem Weg begleiten, bis er ohne ständige Unterstützung zurechtkommt.

Neue Wege:

Welche Hilfestellung können Sie genau bieten?

Romakov:

Ich unterstütze den Teilnehmer bei der Bewältigung seiner Probleme, vermittle ihn an andere Hilfsangebote oder Beratungsstellen beispielsweise an die Sucht- und Schuldnerberatung und bin jederzeit Ansprechpartner. Ebenso begleite ich ihn auf Wunsch auch beim Gang zu Behörden und Gesprächsterminen mit dem Fallmanager.

Weigold:

Durch Herrn Romakov wird die Behörde persönlich, erhält ein Gesicht. Es gibt jemanden, der sich persönlich mit den Problemen des Einzelnen auseinandersetzt und sich Zeit nimmt auch mal unter die Oberfläche zu schauen. Das können die Fallmanager in ihrem Arbeitsalltag nur bedingt leisten.

Neue Wege:

Was sind die häufigsten Gründe, warum der Kontakt zum Fallmanager abbricht?

Romakov:

Das Erkennen, dass man ein Problem hat ist oft nicht leicht. Häufig haben sich die Menschen mit ihrer Situation arrangiert und wollen nicht sehen, dass etwas nicht stimmt.
Zum großen Teil sind die Teilnehmer durch gesundheitliche Probleme körperlicher und
psychischer Art in ihrer Belastbarkeit eingeschränkt, befinden sich Drogenentzugsprogrammen oder in psychologischer Behandlung. Vielen fällt es schwer, Beziehungen einzugehen, regelmäßig zu pflegen und zu halten. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass diese Klienten Schwierigkeiten haben, einen regelmäßigen und konstruktiven Kontakt zum Fallmanager zu pflegen.

Weigold:

Individuelle Lebensgeschichten und multiple Vermittlungshemmnisse führen oft dazu, dass die Menschen irgendwann resignieren, formelle und soziale Kompetenzen verlernen.

Neue Wege:

Wie ist die Resonanz der Betroffenen? Welche Erfolge können Sie verzeichnen?

Romakov:

Für uns ist es schon ein Erfolg, wenn es gelingt, einen Erstkontakt zum Teilnehmer herzu-stellen und wenn dieser Kontakt im Rahmen von Folgeterminen ausgebaut werden kann. Wenn dann eine stabile Arbeitsbeziehung von Teilnehmer und Fallmanager entsteht und die Probleme durch eine Maßnahme wie beispielsweise eine Suchtberatung vermindert werden können, haben wir unser Ziel erreicht.

Weigold:

Es ist immer problematisch in die Privatsphäre eines Menschen einzudringen – da benötigt man viel Feingefühl und muss auch verstehen, dass es Menschen gibt, die die Hilfe nicht annehmen möchten. Zumeist ist es jedoch so, dass die Betroffenen das Angebot nach einer gewissen Bedenkzeit gerne nutzen. Die Tatsache, dass es eine Warteliste gibt, zeigt, dass dieses Förderinstrument sinnvoll und erforderlich ist.

Wenn die Kommunikation nicht mehr funktioniert

Aufsuchende Hilfe: Ein Unterstützungsangebot für Langzeitarbeitslose, die mit ihrer aktuellen Lebenssituation überfordert sind

Wieder eine gute Zusammenarbeit zwischen Arbeitslosengeld II-Beziehern und dem Jobcenter ermöglichen – dies ist Aufgabe der Mitarbeiter der „Aufsuchenden Hilfe“. Die Träger Kombrecht-Engel-Schule, KuBus e.V. und SRH GmbH sind Ansprechpartner für Menschen, die mit ihrer persönlichen Situation überfordert sind und nicht mehr in regelmäßigem Kontakt mit dem Jobcenter stehen. Zum gemeinsamen Austausch trafen sich die Kooperationspartner mit dem Ersten Kreisbeigeordneten und Sozialdezernenten Thomas Metz und Neue Wege Betriebsleiter Stefan Rechmann im kommunalen Jobcenter.

Nicht selten kommt es zu Missverständnissen bei der Kommunikation von Fallmanagern des Jobcenters mit den Arbeitslosengeld II-Beziehern. Gerade für Menschen, die Probleme mit der Bewältigung ihres Alltags haben und überlastet sind, ist es oftmals besonders schwer: Verpflichtungen nachkommen und Behördengänge wahrnehmen – oft ein unüberwindbares Hindernis. Diese Personen ziehen sich aus den unterschiedlichsten Gründen zurück und stellen manchmal die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter sogar vollständig ein. An diesem Punkt setzt die Aufsuchende Hilfe an: Als Kontaktperson zwischen kommunalem Jobcenter und Kunde machen die Mitarbeiter beispielsweise Entscheidungen zu Maßnahmen nachvollziehbarer und helfen das Vorgehen des Jobcenters zu verstehen.

„Aufsuchende Hilfe ist der Ansatz, Arbeitslosengeld II-Beziehern, die aus verschiedenen Gründen den Kontakt zum Jobcentern verweigern oder bei denen alle bisherigen
Maßnahmen keinen Erfolg zeigten, unterschiedliche Hilfestellungen anzubieten. Das Aufsuchen geschieht dabei in ihrem Lebensumfeld. Die Fachkraft geht ein Teil des Weges mit, bis die Kunden dies ohne ständige Unterstützung selbst bewältigen können. Die Mitarbeiter treten als neutrale Dritte auf. In einem persönlichen Gespräch wird den Kunden Unterstützung angeboten und versucht bestehende Hemmnisse, Beschwerden und Konflikte herauszuarbeiten. Wichtig ist, dass die Zusammenarbeit von Anfang an durch ein hohes Maß an Transparenz und Vertrauenswürdigkeit geprägt ist. Das Angebot ist freiwillig und hat bei Nichtannahme keine Sanktion zu Folge, nur so kann die Zusammenarbeit funktionieren“, erklärt Thomas Metz.

Individuelle Hilfestellung kann beispielsweise bei der Schuldenregulierung, der Abwendung von Wohnungsverlust, der Anbindung an das ärztliche und psychosoziale Versorgungssystem und der Sichtung von Schriftverkehr geleistet werden. Ebenso begleiten die Mitarbeiter die Kunden auf Wunsch beim Gang zu Behörden und Gesprächsterminen mit dem Fallmanager.

„Wir freuen uns, dass die Aufsuchende Hilfe unseren Maßnahmekatalog ergänzt. Damit werden gezielt Menschen unterstützt, die mit ihrer Situation überfordert sind. Dieses Angebot ist keine kurzfristige Hilfe sondern steht für langfristige Lösungen und die Rückführung der Menschen in die gesellschaftlichen Strukturen“, so Metz abschließend.

Bergsträßer Arbeitsmarkt: Kommunales Jobcenter meldet Juli-Zahlen

Die Gesamtzahl der beim Eigenbetrieb Neue Wege registrierten Familien im Arbeitslosengeld II-Bezug ist im Vergleich zum Vormonat leicht gesunken: Waren im Juni noch 6795 Haushalte statistisch erfasst, sind es aktuell 6767 (Minus 28) sogenannte Bedarfsgemeinschaften. Betrachtet man die Gesamtzahl der Arbeitslosen, ist wie in Hessen insgesamt ein Anstieg zu verzeichnen. Derzeit sind 3966 Personen bei Neue Wege gemeldet – im Monat Juni belief sich die Zahl auf 3889 Leistungsbezieher.

Die statistischen Auswertungen zeigen bei den Jugendlichen unter 25 Jahren leider einen vorübergehenden Anstieg auf 55 junge Arbeitslose. Im Juni waren es 41 Personen.

„Der Anstieg bei den jugendlichen Arbeitslosen ist bedingt durch die Schulabgänge. Einige Jugendliche befinden sich momentan noch auf Arbeits- oder Ausbildungsplatzsuche. Wir sind zuversichtlich, dass die steigenden Zahlen ein vorübergehender Trend sind“, erklärt Neue Wege Betriebsleiter Stefan Rechmann.